Stellungnahme des Vereins Antifaschistisches Bildungszentrum und Archiv Göttingen e.V. (ABAG) zum Konflikt um die Veröffentlichung der Broschüre „Die extreme Rechte in Südniedersachsen – eine unterschätzte Gefahr“
Unsere Broschüre über die regionale extrem rechte Szene ist vor einigen Wochen erschienen. Das Interesse an diesem Thema ist seitens der Öffentlichkeit so hoch, dass die Broschüre bereits vergriffen ist. Digital ist sie jedoch immer noch online zu finden. Trotz des großen öffentlichen Interesses für dieses Thema war der Weg bis zur Veröffentlichung sehr holprig. Es ist also höchste Zeit diesen Prozess aus unserer Perspektive zu kommentieren.
Im Februar 2020 verfassten wir eine Broschüre unter dem Titel „Die extreme Rechte in Südniedersachsen – eine unterschätzte Gefahr?“. Erscheinen durfte sie jedoch erst vor einigen Wochen. Natürlich kann nach der Redaktion solcher Publikationen bis zu ihrer Veröffentlichung etwas Zeit vergehen, zumal diese Broschüre von dem Bundesprogramm Demokratie Leben! gefördert wurde. Die Freigabe zur Veröffentlichung erfolgt im Rahmen dieses Programms sowohl durch den Bund als auch durch die regional zuständigen Stellen, die sogenannten Partnerschaften für Demokratie. Das kann also eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen.
Den ursprünglich geplanten Veröffentlichungstermin – nach Freigabe vom Bund – verhinderte jedoch eine Intervention des Landkreises Northeim.
Das Vorgehen des Landkreises Northeim ermöglichte die Förderstruktur des Bundesprogramms. Demokratie leben! vergibt im Rahmen der Partnerschaften für Demokratie die Fördermittel an die – an dem Programm teilnehmenden – Städte und Landkreise. Diese wiederum arbeiten in der Regel mit zivilgesellschaftlichen Vertreter*innen zusammen. Meist ist das ein gemeinnütziger Verein: Für die Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Northeim ist das zum Beispiel die Werk-statt-Schule.
Die Partnerschaften haben diverse Aufgaben, unter anderem unterstützen sie Kooperationspartner*innen wie das ABAG bei der Umsetzung demokratiefördernder Projekte. Zudem sind sie allgemein für die Vernetzung in die Zivilgesellschaft verantwortlich. Welche Projekte mit dem Geld des Bundesprogramms gefördert werden, entscheidet ein an die Partnerschaften für Demokratie angeschlossener lokaler Begleitausschuss. In diesem sitzen verschiedene Vertreter*innen aus der Zivilgesellschaft, wie Gewerkschaften oder Kirchen, aber auch die kommunale Verwaltung. Der Ausschuss berät über die eingereichten Anträge und bewilligt beziehungsweise lehnt diese ab.
Die Broschüre wurde als Kooperationsprojekt von zwei Partnerschaften für Demokratie gefördert – von der PfD im Landkreis Göttingen und der PfD im Landkreis Northeim.
Bereits im Herbst 2019 legten wir die ersten Textentwürfe vor. Sie wurden von den – in den beiden Landkreisen – zuständigen Ansprechpartner*innen der PfD und im Begleitausschuss der PfD des Landkreises Northeim gelesen. Die Ergänzungs- und Änderungswünsche wurden von uns eingearbeitet. Im Juni 2020 war die Broschüre fertig. Das beinhaltete auch die Prüfung der Broschüre durch einen Fachanwalt. Anschließend wurde sie durch die zuständige Stelle des Bundes und unsere Ansprechpartner*innen beider PfD freigegeben. Daraufhin begannen wir mit der Öffentlichkeitsarbeit und trafen uns, gemeinsam mit unseren Ansprechpartner*innen, zu einem Pressegespräch mit dem Göttinger Tageblatt.
Wenig später erfuhren wir von unserer Ansprechpartnerin in der PfD des Landkreises Northeim, dass der Druck der Broschüre auf Vorgabe der Verwaltung des Landkreises Northeim gestoppt werden müsse. Nach ein paar Tagen erfuhren wir außerdem, dass unsere Ansprechpartnerin, mit der wir vertrauensvoll und auf Augenhöhe zusammengearbeitet hatten, freigestellt wurde. Seither wurden wir über den weiteren Verlauf, beziehungsweise über das weitere Verfahren im Unklaren gelassen.
Keine verantwortliche Person der PfD Northeim meldete sich bei uns. Daher wandten wir uns an die Öffentlichkeit. Es vergingen weitere Wochen bis sich der Landkreis Northeim endlich an uns wandte, und uns rechtliche Bedenken bezüglich der Urheber- und Persönlichkeitsrechte mitteilte. Dabei betrafen diese vage rechtliche Bedenken unter anderem einzelne, in der Broschüre abgebildete, bekannte Neonazis. Der Landkreis Northeim forderte uns auf, diese Bedenken auszuräumen. Die vom Landkreis Northeim dafür festgelegte Frist von nur wenigen Tagen konnten wir nur mit einem enormen Aufwand wahren, da wir ausschließlich ehrenamtlich aktiv sind. Weshalb der Landkreis Northeim uns seine Bedenken bezüglich der Fotos nicht bereits im Herbst mitteilte, bedarf weiterhin einer Erklärung. Die Bedenken des Landkreises konnten wir mit einem weiteren rechtlichen Gutachten leicht ausräumen. Dies, sowie die massive Intervention von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, Politiker*innen und die sowohl regionale als auch bundesweite mediale Berichterstattung, führte schließlich zum Einknicken des Landkreises Northeim.
Alles in allem betrachten wir den Umgang der Northeimer Partnerschaft für Demokratie und des Landkreises Northeim mit dem ABAG als sehr problematisch und unprofessionell. Es hat keine offene, ehrliche und transparente Kommunikation mit uns, als zivilgesellschaftlicher Instanz, stattgefunden. Stattdessen erging, ohne vorhergehende mündliche oder schriftliche Kommunikation, ein Verwaltungsakt, der eine massive Mehrbelastung für uns bedeutete. Eine Entschuldigung bei uns blieb bisher aus.
Es bleibt nach wie vor unklar, von wem und aus welchen Gründen der Druck der Broschüre vorerst gestoppt wurde. Aus einem demokratischen Verständnis heraus sollte der regionale Begleitausschuss des Bundesprogramms Demokratie Leben! von einem solchen Vorgehen mindestens informiert werden, um im Zweifel über diesen Vorgang selbst entscheiden zu können. Nach all diesen Entwicklungen erhärtet sich der Verdacht, dass innerhalb der Landkreisverwaltung Northeim der Versuch unternommen wurde, unsere Broschüre zu diskreditieren.
Die Unterstellung der Northeimer Landrätin Astrid Klinkert-Kittel, dass wir versucht hätten, “den Landkreis Northeim in die rechte Ecke zu stellen”, lenkt zudem nur vom eigentlichen Problem ab. Die Broschüre informiert über extrem rechte Strukturen und analysiert ihre Entwicklungen in den letzten Jahren – auch dort, wo es dringend nötig ist, wie beispielsweise im Landkreis Northeim. Diese notwendige Dokumentationsarbeit zur Stärkung von Initiativen gegen Rechts sollte seitens des Landkreises Northeim nicht nur mit Lippenbekenntnissen unterstützt werden!
Was nehmen wir aus diesem Konflikt mit? Durch das Bundesprogramm Demokratie leben! hatten wir die finanziellen Möglichkeiten, eine Broschüre zu extrem rechten Strukturen in Südniedersachsen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wir wollen auch in Zukunft unser Wissen mit einer interessierten Öffentlichkeit teilen und so Initiativen in ihrem Engagement gegen die extreme Rechte unterstützen. Die Zusammenarbeit mit der Partnerschaft für Demokratieund den regionalen Landkreisen sind jedoch nicht bedingungslos: Wir fordern nach wie vor eine Aufklärung über die Hintergründe des Aufhaltens der Broschüre und der Freistellung der damaligen Ansprechpartnerin der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Northeim. Solange darüber nicht Transparenz geschaffen oder gar erwünscht wird, behalten wir uns vor von einer Kooperation mit diesen Instanzen abzusehen.
Die Arbeit an dieser Broschüre hat uns viel Zeit und Mühen gekostet. Umso mehr hatten wir Angst, dass das Agieren in Northeim diese Mühen vollständig zunichte gemacht hätte. Dieses Vorgehen zeigt uns, dass wir uns nicht gänzlich auf staatliche Förderinitiativen verlassen können. Zum Glück und trotz alldem haben wir breite Unterstützung erfahren. Einzelpersonen, Gruppen und zivilgesellschaftliche Initiativen haben sich solidarisch mit uns gezeigt und uns auf unterschiedliche Art und Weise geholfen. Diese Erfahrung hat uns gestärkt und uns vor Augen geführt, dass es eine Vielzahl von Menschen und Institutionen gibt, die sich tatkräftig antifaschistisch engagieren. Danke für diese wichtige Unterstützung!
Mit Eurer Hilfe werden wir nun im ersten Quartal 2021 eine neue Auflage der Broschüre in den Druck geben, damit möglichst alle Interessierten auch ein gedrucktes Exemplar in den Händen halten können.
Antifaschistisches Bildungszentrum und Archiv Göttingen e.V., am 15.02.2021
Für Rückfragen stehen wir unter: kontakt@antifaschistisches-archiv.org zur Verfügung.