Ein Gespräch Mit Eli Fuhrman – YAD VASHEM

Ende Juni 2019 führten wir in Jerusalem ein Interview mit Eli Fuhrman, dem Leiter des deutschsprachigen Teams des Archivs der israelischen Holocaustgedenkstätte Yad Vashem.

von Micky Caulfield

in Fotoalbum aus dem Ghetto Lodz, Beweismaterial aus dem Eichmann-Prozess oder Karteikarten des Konzentrationslagers Mauthausen. Schon während der Shoah haben Jüdinnen und Juden Zeugnisse und Beweise dessen gesammelt, was sie erleben mussten. Davon zeugen nicht nur Geheimarchive in verschiedenen Ghettos, wie das Oneg Schabbat-Archiv aus dem Warschauer Ghetto, sondern auch die Bestände des Archivs Yad Vashems. Die Dokumentationsarbeit wurde also weit vor der Gründung des Archivs der Internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem begonnen. Das Archiv in Jerusalem nahm im Jahre 1946, bereits sieben Jahre vor der offiziellen Gründung der Gedenkstätte Yad Vashem, seine Arbeit auf. Unser Interviewpartner Eli Fuhrman arbeitet seit 2001 im Archiv in Yad Vashem und ist dort seit 2008 Leiter des deutschsprachigen Teams. Fuhrman wurde 1976 in Jerusalem geboren. Er studierte jiddische Literatur und jiddische Sprache in Jerusalem, sowie 2006-2007 Germanistik in Freiburg. Fuhrman pro-movierte an der BarIlan-Universität zur jiddischen Sprachwissenschaft der 1920er und 1930er Jahre in der Sowjetunion.

Gedenkort der zerstörten jüdischen Gemeinde im polnischen Bialystok im Tal der Gemeinden in Yad Vashem

ABAG: Was für Arten von Archivalien habt Ihr und wie sind diese in das Archiv von Yad Vashem gekommen?

Eli Fuhrman: Die Materialien mit denen wir arbeiten sind überwiegend Kopien, die wir von anderen Archiven bekommen. Grundsätzlich stammen die meisten originalen Dokumente bei uns von den Überlebenden. Soweit ich weiß, sind die wertvollsten Originaldokumente Zeugnisse der Überlebenden, die nach Israel auswanderten. Sonst bekommen wir Kopien.Wir haben Abkommen mit vielen Archiven und unsere Zusammenarbeit mit Archiven im deutschsprachigen Raum ist ausgezeichnet, viel besser als mit anderen Ländern, wo es auch politische und bürokratische Gründe gibt – Hürden, die viel schlimmer sind, als im deutschsprachigen Raum.Das größte Problem bei uns ist, dass wir wegen des Personenschutzes nicht alle Dokumente, die wir bearbeiten, für ein breites Publikum zugänglich machen können. Aber sonst ist unsere Zusammenarbeit ausgezeichnet. Wir kriegen tausende von Mikrofilmen und gescannten Dokumenten. Von einigen Archiven haben wir alles, was mit Juden zwischen 1933 und 1945 zu tun hat und natürlich ist der Wert der Urkunden sehr verschiedenartig. Manchmal gibt es eine einzige Erwähnung von Juden, die nicht unbedingt in einem Zusammenhang mit Verfolgung steht.

ABAG: Was macht ihr als deutschsprachiges Team des Archivs?

Fuhrman: Unsere Abteilung beschäftigt sich mit deutschsprachigen Dokumenten und ich vermute, dass ca. 70 % vom ganzen Archiv, vielleicht mehr, deutschsprachige Dokumente sind. Aber meistens sind das Kopien, weil die Originaldokumente, die Zeugnisse der Überlebenden meistens nicht in der deutschen Sprache, sondern in verschiedenen anderen Sprachen, Jiddisch und Polnisch und so weiter waren. Nur ein kleiner Teil der Überlebenden waren deutsche Muttersprachler. Unsere Abteilung arbeitet meistens mit Dokumenten von verschiedenen Behörden. In den letzten Jahren bearbeiten wir Dokumentationen von Gerichtsprozessen gegen Kriegsverbrecher in der BRD. Die Prozesse gegen Kriegsverbrecherwaren in der BRD, in Österreich und in der DDR sehr verschiedenartig. Mit österreichischen Dokumenten haben wir auch schon gearbeitet, mit einigen sehr wichtigen Prozessen, aber meistens arbeiten wir mit BRD-Akten. Gerade dieses Thema der Kriegsverbrecherprozesse ist, glaube ich, für Euch relevant, weil es da wirklich um die Verarbeitung der Kriegsverbrechen durch die westdeutsche Justiz geht. Also mit Neonazis haben wir hier natürlich nichts zu tun, aber mit der Behandlung der Nazis in den beiden neuen Deutschlands.

ABAG: Habt ihr auch mit Akten aus der DDR gearbeitet?

Fuhrman: Nein, dazu sind wir noch nicht gekommen.

ABAG: Ihr katalogisiert auch viel, oder?

Fuhrman: Also wir katalogisieren und beschreiben sehr sehr präzise, sehr ausführlich. Für uns sind die heutigen Sammlungen sehr wertvoll. Es gab Strafprozesse gegen Kriegsverbrecher, die meisten waren sozusagen „kleine Verbrecher”, meistens Teilnehmer an der Reichskristallnacht, also Plünderungen und ähnliches in verschiedenen Städten, meistens im Ruhrgebiet. Wir haben hunderte solcher Prozesse in dutzenden Städten und sogar Dörfern. Wir haben hunderte Namen von Beteiligten, das sind natürlich kleine Fische, aber wir haben auch Prozesse gegen „ernstere Verbrecher”. Alle diese Urkunden dieser Prozesse befinden sich natürlich in deutschen Archiven, aber unsere Aufgabe ist es, sie sehr ausführlich zu beschreiben. Einige Prozesse sind extrem wichtig, zum Beispiel haben wir gerade einen Prozess gegen ein Polizeibataillon beschrieben. Das Polizeibataillon damals in Białystok im Jahre 1941; das war eines der schrecklichsten Ereignisse überhaupt. Dort wurde eine Synagoge mit hunderten Menschen darin angezündet. Und unsere Beschreibung und Verschlagwortung ist sehr wertvoll, weil eigentlich alle Teilnehmer, die damals in den 1960er Jahren noch lebten, also Zahlreiche, befragt wurden.

ABAG: Es gab in diesem Verfahren ja sogar einenRevisionsprozess. Aber das Material, was ihr jetzt bearbeitet, bezieht sich auf den ersten Prozess?

Fuhrman: Ja, und dafür wurden alle befragt, alle Teilnehmer und alle Überlebenden. Dadurch ist das eine Bereicherung für unsere Sammlung der Zeugnisse der Überlebenden, weil nicht alle Überlebenden ihre Zeugnisse an Yad Vashem gaben. Denn es gab viele solche, die nur vor dem Gericht etwas ausgesagt haben und so sind die Gerichtsakten die einzige Quelle von ihnen, denn die meisten leben nicht mehr.

ABAG: Das ist sehr interessant. Und ihr bereitet das Material in dem Sinne auf, dass ihr zusammenfasst, was in den Akten steht und stellt das dann z.B. für Forschungstätigkeiten zur Verfügung?

Fuhrman: Ja, für Forscher, die zu uns ins Archiv kommen, wird das automatisch zugänglich. Natürlich verpflichten wir sie, dass sie mit dem Material verantwortlich umgehen. Für das breite Publikum können wir leider nicht alleszugänglich machen, vor allem, wegen des Personenschutzgesetzes der Europäischen Union und Deutschlands. Das sind unsere Verpflichtungen. Aber für Forscher ist das wirklich ein großer Schatz. Und was noch wichtig ist, ist dass wir viele Namen von Überlebenden, von Opfern, über die Gerichtsakten kriegen. Wir haben sehr viele Erwähnungen von Holocaustopfern in Deutschland und in Österreich, auch von zweitrangigen Sammlungen. Zum Beispiel von Listen von Konfiszierungen und Plünderungen des jüdischen Eigentums. Das wichtige an solchen Listen ist nicht, dass zum Beispiel ein Tisch beschlagnahmt wurde, der Tisch selbst ist nicht wichtig, aber die Namen und einige andere Umstände von dem Leben der Opfer, die wir dadurch gewinnen können. Natürlich sind, wie ich schon gesagt habe, nicht alle Urkunden gleichwertig und auch nicht alle Prozesse sind gleichwertig. Zum Beispiel beschäftigen wir uns gerade mit dem KZ Sachsenhausen und mit Białystok. Białystok, das war wirklich ein frühes Zeichen für die totale Vernichtung und das Verlieren aller Begrenzungen, die bis 1941 irgendwie noch gültig waren.

ABAG: Wie unterscheidet sich Eure Arbeit, die des deutschsprachigen Teams des Archivs Yad Vashems, von der Arbeit in Archiven z.B. in Deutschland? Und sind die Unterlagen, die ihr bearbeitet, in den Archiven im deutschsprachigen Raum, wo die Originale liegen, bereits bearbeitet worden?

Fuhrman: Das kann sein, aber unser Standpunkt ist ein anderer als der, der meisten Archive im deutschsprachigen Raum. Wir konzentrieren uns auf jüdische Opfer, deswegen ist die Beschreibung anderer Verbrechen, die in den jeweiligen Archiven manchmal sehr ausführlich gemacht wurde, bei uns ziemlich oberflächlich. Wir erwähnen Verbrechen, wie Morde an Kriegsgefangenen und an Ostarbeitern, aber unser Zielpunkt sind natürlich die jüdischen Opfer und auch die Materialien,die wir bekommen, haben unbedingt mit jüdischen Opfern zu tun. Das bedeutet, dass die deutschen Archive für uns eine Auswahl treffen. Wir kriegen nicht die Akten von Prozessengegen alle Kriegsverbrecher, sondern nur gegenjene, die Verbrechen gegen Juden begangen haben. Das ist die Mehrheit, aber nicht hundert Prozent.

ABAG: Und noch eine Frage zur Geschichte des deutschsprachigen Teams: Seit wann gibt es Euch? Denn das Archiv gab es ja bereits vor der offiziellen Gründung Yad Vashems…

Fuhrman: Das Team existiert seit 2008 und seit der Gründung stehe ich an der Spitze. Aber auch früher gab es diese Tätigkeit, weil es immerviele deutschsprachige Freiwillige und Mitarbeiter gab.

ABAG: Das heißt, die Arbeit wurde ein bisschen…

Fuhrman: …mehr konzentriert. Grundsätzlich haben wir vier Teams, wir arbeiten ernsthaft mit vier Sprachen: Deutsch, Russisch, Polnisch und Ungarisch. Für einige Sprachen haben wir nicht genug Dokumente, obwohl dort Holocaust tatsächlich stattfand, zum Beispiel in der Tschechoslowakei. Auf Tschechisch haben wir wenige Dokumente, ich weiß nicht warum. Und einige Sprachen sind verwahrlost, vielleicht auch wegen Personalmangels.

Eli Fuhrmann, Leiter des deutschsprachigen Teams des Archivs Yad Vashems

ABAG: Das hat sich wahrscheinlich auch nach der „Wende” 1989/90, nach der Öffnung der Archive im Osten geändert, oder?

Fuhrman: Ja, ich kann mir nicht vorstellen, was wir tatsächlich auf Russisch hatten bis zur Wende. Obwohl seit der Wende gab es auch schon kleinere Wenden und manche sind nicht in eine gute Richtung gegangen, aber natürlich kann man den jetzigen Zustand nicht mit dem Zustand in den 80er Jahren vergleichen.

ABAG: Eine letzte Frage bezüglich der Bedeutung des Sammelns von Papierdokumenten: Wie ist das bei Euch? In den heutigen Zeiten gibt es ja immer weniger Printmedien und vieles verschiebt sich auf die digitale Ebene

Fuhrman: Puh, eigentlich arbeiten wir nicht mehr mit Papier. Unsere Dokumente sind so-wieso fast ausschließlich Kopien. Manchmal bekomme ich Aufträge, auf Jiddisch zu arbeitenund in diesem Fall komme ich manchmal zu Papieren, aber alles ist immer gescannt. Und wenn wir ein Dokument brauchen, dass nicht gescannt ist, macht man für uns Scans.Heute ist die Qualität von Scans so gut, dass eseigentlich besser als Papier ist.

ABAG: Vielen Dank für das Interview!