Rezension: Zwischen Neoliberalismus und völkischem Antikapitalismus

Rezension: Zwischen Neoliberalismus  und völkischem “Antikapitalismus”

Als Björn Höcke in seinem Gesprächsband Nie zweimal in denselben  Fluss den Begriff des „solidarischen Patriotismus“ erwähnt, stellt er zugleich die Alternative für Deutschland als Volkspartei  dar, welche die Interessen der „kleinen Leute“  gegen einen fortwährend ausbeuterischen Kapitalismus verteidige. Jedoch scheint seine Partei sowie die gesamte Bewegung der Neuen Rechten über sozial- und wirtschaftspolitische Fragen zerstritten. Zwischen dem marktradikalen Lager und den Befürwortenden einer von Götz Kubitschek vorgeschlagenen „Verstaatlichung bei gleichzeitiger Verschlankung der Bürokratie“ ist ein tiefer Graben entstanden.

Der Sammelband Zwischen Neoliberalismus und völkischem Antikapitalismus” gibt einen detaillierten Überblick über die Debatten um sozial- und wirtschaftspolitische Konzepte innerhalb der Neuen Rechten. Das Buch beginnt mit einem Rückblick auf die Ideen der „Konservativen Revolution“ und ihren Einflüssen auf heutige rechte Strömungen. Anhand der Werke von Oswald Spengler und Arthur Moeller van den Bruck wird die Adaption des Sozialismusbegriffs für das nationalistische Lager erläutert.  Auch das Verhältnis zwischen Staat und kapitalistischem Wirtschaftssystem in den jungkonservativen und völkischen Strömungen der Weimarer Republik werden thematisiert. Anschließend widmen sich Beiträge verschiedenen sozial- und wirtschaftspolitischen Konzepten. Überraschend und dennoch zutreffend wird zuerst die Programmatik der NPD unter Udo Voigt analysiert, wobei Anknüpfungspunkte mit den „antikapitalistischen” Ansätzen der AfD herausgearbeitet werden. Aus diesen Grundlagen lassen sich die Flügelkämpfe um die sogenannte „soziale Frage“ zwischen den nationalneoliberalen Parteimitgliedern um Personen wie Alice Weidel und Jörg Meuthen und dem völkischen Flügel um Björn Höcke deuten. Die Analyse der Rollen von nationalistischen Think Tanks wie dem Institut für Staatspolitik und rechten Zeitschriften wie Compact und eigentümlich frei für die Bildung einer neoliberalen Volksgemeinschaft geben weiterführende  Zwischen Neoliberalismus
und völkischem “Antikapitalismus” Denkanstöße. Hierbei lassen sich Argumentationsmuster der AfD in einen breiteren extrem rechten Themenkomplex einordnen, wodurch Querverbindungen zu Geschichtsrevisionismus und Antisemitismus sichtbar gemacht werden. Auch im Bundestag nehmen die AfD-Abgeordneten unvereinbare und gegensätzliche Positionen im Bereich Sozial- und Wirtschaftspolitik ein,  wobei der neoliberale Flügel bisher die Reden der extrem rechten Partei dominiert. Bezüglich der Rentenpolitik sind ihre Widersprüche offensichtlich. Ebenfalls verschärfen sich die innerparteilichen Konfliktlinien um die Frage nach der Rolle des Staates bzw. der staatlichen Regulation. Hingegen erscheint das Bildungsverständnis der AfD einheitlich und das von ihr verlangte Hochschulsystem autoritär und nur für „Bio-Deutsche“ zugänglich. Daraus entstehen rechte ideologische Angriffe gegen das
sogenannte „Gender-Mainstreaming“ sowie die Klimaforschung. Nicht nur in Universitäten finden Attacken statt: Der völkische Flügel der AfD versucht sich – gemeinsam mit dem neurechten Verein Ein Prozent e.V. – bei Betriebsratswahlen zu profilieren. So erfolgt eine Nationalisierung und Ethnisierung der sozialen Frage. Schließlich lassen sich Netzwerke zwischen AfD und weiteren Interessengruppierungen erkennen, was das außerparlamentarische Wirken der äußerst rechten Partei verdeutlicht.

Dass die Positionen zu sozialen und wirtschaftspolitischen Themen innerhalb der Partei sehr unterschiedlich sind, steht seit ihrer Gründung  außer Frage. Dieses Buch gibt nicht nur einen Überblick über die Bandbreite der teils geeinten, teils konträren Programmatik der neoliberalen und der völkischen Strömung, sondern geht beiden auch ideengeschichtlich auf den Grund. Darüber hinaus liefert der Sammelband spannende Analysen über die politischen Konfliktlinien innerhalb der Partei. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf die Netzwerke der Neuen Rechten gelegt, was zum Verständnis der aktuellen AfD-Politik eine wertvolle Quelle darstellt. Die verschiedenen Beiträge lassen sich gut ohne großes Vorwissen und getrennt von-einander lesen. Eine sehr erkenntnisreiche Lektüre

Chiara Monti

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Andrea Becker, Simon Eberhardt, Helmut Kellershohn (Hg.) Zwischen Neoliberalismus und völkischem Antikapitalismus” – Sozial- und wirtschaftspolitische Konzepte und
Debatten innerhalb der AfD und der Neuen Rechten
Münster 2019, UNRAST Verlag.
272 Seiten, 24 Euro.
ISBN: 978-3-89771-772-5