EIN JAHR CORONA-PANDEMIE
Von Chiara Monti
Als Wort des Jahres 2020 entschied sich eine Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache in wenig origineller Weise für „Corona-Pandemie“. In der langen Liste der Vorschläge für das Unwort des Jahres standen daher wenig überraschend viele Bezeichnungen für die Nebendarsteller*innen der Pandemie: So kritisieren nach wie vor „Covidioten“ und „Wirrologen“ die Maßnahmen der „Corona-Diktatur“ zur Eindämmung der Pandemie oder leugnen gar die Existenz des Corona-Virus. Als fundamentale Opposition in den Parlamenten oder als selbst inszenierte volks-nahe Bewegung auf den Straßen vertritt die extreme Rechte teils aus strategischen Gründen, teils aus inhaltlicher Übereinstimmung ebenfalls diese Positionen. Es verwundert also nicht, dass den Protesten, an denen die selbst ernannten Corona-Rebellen teilgenommenhaben, auch von unterschiedlichen extrem rechten Akteur*innen beigewohnt wurde. Es ist allerdings weder klug noch richtig, pauschal allen Anwesenden eine extrem rechte Gesinnung zuzuschreiben. Denn durch diese Zuschreibung könnten Personen, die kein gefestigtes rechtes Weltbild haben, in die Arme der organisierten extremen Rechten getrieben werden. Denn genau wie deren VertreterInnen begreifen sich die sogenannten Querdenker – gerade als Reaktion auf derartige Vorwürfe – als Opfer einer linken Mehrheitsgesellschaft. Besser als eine pauschale Zuordnung der Personen zur extremen Rechten ist daher eine genaue Analyse der von ihnen verbreiteten oder tolerierten Inhalte und deren Anschlussfähigkeit für die extreme Rechte. Letztere schafft es wiederum, bei den sogenannten „Corona-Protesten“ ihre eigene menschenverachtende Ideologie zu vermitteln – nicht zuletzt mit weit verbreiteten antisemitischen Verschwörungserzählungen.
Der ewige Du-weißt-schon-wer
Hinter den – aus Sicht der selbst ernannten Corona-Rebellen überzogenen – Maßnahmen im Umgang mit der Pandemie stehen mal „die Bundesregierung“, „die da oben“ oder auch eine „dunkle Macht-Elite“. Letztere taucht unter anderem auf der Webseite corona-2wahrheit.de auf, die vom Mitgründer der lokalen Göttinger Initiative Querdenken551, Klaus T., verwaltet wird. Von einer „extreme[n] Manipulation bei ARD und ZDF“ über den Betrug des „deutsche[n] Wahlvolk[s]“ durch das „kulturmarxistische Sandmännchen“ bis hin zur vorgeblich kommenden „Zwangsimpfung“ ist diese Webseite ein Schmelztiegel antisemitischer Motive. Auch die Verlinkung zum fast eine Million Mal gesehenen Video des Göttinger Anwalts Reiner Fuellmich unter dem Titel „Sehr gute Rede“ ist kein Zufall: In dieser Rede bezeichnet Fuellmich den „Corona-Skandal“ als ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Dieser Ausdruck wird seit 1945 explizit in Bezug auf den Holocaust verwendet. Eine Umdeutung auf die aktuelle Krisensituation verneint schlichtweg die Singularität des Holocausts und stellt somit eine Verharmlosung dessen dar.
Zudem stehen bei den Göttinger „Corona-Protesten“ Ausgaben der angeblichen „auflagenstärksten Wochenzeitung der Republik“ mit dem Titel Demokratischer Widerstand zur Verfügung. Darin wird schon auf dem Titelblatt behauptet, dass die Bundesrepublik sich „unter einem de-facto-diktatorischen Regime“ befände. Die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus werden als Ausrede für einen vermeintlichen „Griff zur Macht eines fanatischen Polit-, Medien- und Konzernkartells“ dargestellt. Dass solch eine verkürzte Kapitalismuskritik oft von einem modernen Antisemitismus begleitet wird, zeigen nicht zuletzt die Querdenken-Demos, bei welchen Sprüche wie „Coronavirus heißt Judenkapitalismus“ sowie gelbe David-Sternen mit dem Wort „ungeimpft“ traurige Realität sind.
Verantwortlich im Sinne des Presserechts zeichnet sich für das Blatt Demokratischer Widerstand Anselm Lenz. Gemeinsam mit anderen Verschwörungstheoretikern wie Wolfgang Wodarg und Paul Schreyer schreibt er regelmäßig für den Online-Blog Rubikon. Vertrat dieser Blog noch am Anfang der Pandemie keine eindeutig geschlossene rechte Argumentationslinie, ist die Diskursverschiebung nach rechts inzwischen längst geschehen: Sprüche auf Merchandising-Artikeln wie „Human Lives Matter“ – in Opposition zur Black Lives Matter-Bewegung – relativieren Rassismus und Beiträge über „politisch korrekte Selbstkastrierung“ sind von antifeministischen Tönen sowie Nationalstolz durchzogen. Auch das Infektionsschutzgesetz wird in pseudo-ironischer Weise mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 verglichen. Die Querdenken-Demo in Berlin am 18. November 2020 verwendete ebenfalls diese NS-Verharmlosung zur Mobilisierung. Dies tat auch der Bundestagsabgeordnete der Alternative für Deutschland (AfD), Martin Sichert, der in seiner Rede vom 8. Oktober 2020 keinerlei Unterschied mehr „zwischen einer epidemischen Notlage nationaler Tragweite und Hitlers Ermächtigungsgesetz von 1933“ sah. Hinzu reihen sich Instrumentalisierungsversuche von Verfolgten des Nazi-Regimes wie Sophie Scholl und Anne Frank auf den „Corona-Protesten“ – eine Verhöhnung all der Menschen, die von Nazis ermordet wurden.
Antifaschist*innen als „Regierungshandlanger“
Als „Regierungshandlanger“ bezeichnete Christoph G., Mitglied des Kreisverbands Göttingen- Osterode der AfD, am 18. Mai 2020 linke Aktivist*innen, die sich am vorherigen Wochenende an einer Gegenkundgebung zu den „Corona-Protesten“ beteiligt hatten. Einen Tag davor wurde in der internen Telegram-Gruppe Corona kritischer Austausch in Göttingen ein Link zu einem Beitrag des neurechten Online-Blogs Jouwatch gepostet, mit dem provokativen Titel „Teamwork von Polizei und Antifa: Der Linksstaat macht gegen Freiheit und Grundrechte mobil“. Hier zeigt sich, wie die Corona-Rebellen sich als Opfer einer linken Mehrheitsgesellschaft inszenieren und wie sie Gegendemonstrant*innen als Helfershelfer*innen des von ihnen kritisierten Staates darstellen. Somit versuchen Corona-Rebellen, Antifaschismus im Dienst einer vorgeblichen Diktatur zu entpolitisieren, und beanspruchen zugleich für sich allein Positionen, die ebenfalls im linken (vor-)politischen Raum geteilt werden: Die lokalen Corona-Rebellen seien für „Demokratie, Freiheit und Selbstbestimmung“ und würden Antisemitismus ablehnen.
Daran zu glauben ist eine Sache, dafür zu kämpfen eine ganz andere: Um diesem Anspruch gerecht zu werden, sollte mindestens eine klare Ausgrenzung der extrem rechten Akteur*innen auf die Kundgebungen der Corona-Rebellen vollzogen werden. Dies geschah nicht, als beispielsweise Stephan P., stadtbekannter – vor allem in den 1990er und 2000er Jahren für die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) aktiver – Neonazi, bei Kundgebungen auftauchte, worauf von Antifaschist*innen hingewiesen wurde. Dass Christoph G. sich von den Kundgebungen ab Ende Mai fernhielt, ist ebenfalls nicht den Organisator*innen der Corona-Rebellen zu verdanken: Das AfD-Mitglied traf diese Entscheidung, nachdem das Antifaschistische Bildungszentrum und Archiv Göttingen e.V. in einem Bericht zu den ersten Kundgebungen seine Teilnahme öffentlich machte. Für seinen Rückzug gibt Christoph G. den „von der Regierung bezahlten Berufsdemonstranten der Antifa“ die Schuld, welche kurz darauf in einem weitergeleiteten Beitrag als „SA (Staats Antifa)“ und „roten Schläger und Brandschazer“ [Fehler im Original] beschrieben werden. Eine Gegenrede in der internen Telegram-Gruppe der lokalen Corona-Rebellen ist dem Chat-Verlauf nicht zu entnehmen. Weiterhin heißt es dort, dass Antifaschist*innen dem Faschismus den Weg ebnen würden. Die Übernahme solch einer wirren – und politisch schlichtweg falschen – Analyse spiegelt nicht nur die Anschlussfähigkeit neurechter Argumentationslinien wider, die linke Bewegungen als Gefahr für die Demokratie darstellen, um von den eigenen antidemokratischen Bestrebungen abzulenken. Auch die sogenannte – wissenschaftlich nach wie vor nicht belegbare – „Extremismustheorie“, die linke und rechte politische Bewegungen gleichsetzt, findet bei den Corona-Rebellen Anklang: Somit können sie sich als bürgerliche Bewegung aus der Mitte der Gesellschaft inszenieren.
Es geht weniger um Corona als um die Souveränität Deutschlands
Als selbst inszenierte bürgerliche Bewegung ähneln die Corona-Proteste den Montags- demonstrationen der letzten Jahre, die hinter den einheitlichen Bannern von PEGIDA oder unter dem Ruf „Merkel muss weg!“ im populistischenStil an gleichnamige Demonstrationen in der DDR anspielen. Dabei ist der größte gemeinsame Nenner das Heraufbeschwören eines Bedrohungsszenarios: Es werden einerseits durch die „Merkel-Regierung“ oder die „Machteliten“ eine innere Bedrohung, und andererseits durch „Migranten“ oder wie im letzten Jahr durch „Bill Gates“ und die „Impflobby“ Angriffe von außen auf eine angebliche deutsche Volksgemeinschaft herbeiphantasiert. Bei den aktuellen „Corona-Protesten“ wird also einmal mehr dazu aufgerufen, Deutschland zu schützen. Bei der Online-Mobilisierung von Querdenken für die große Berliner Demo am 18. November 2020 heißt es: „Unsere Zivilisation – Unsere Regeln!“
Auch in Göttingen ist die Souveränität Deutschlands längst wichtiger als der Protest gegen die Corona-Maßnahmen. Am 19. Oktober 2020 kamen etwa 150 Menschen auf den Bahnhofsvorplatz, um unter anderem Bodo Schiffmann und anderen Rednern von Querdenken zuzuhören. Dabei wurde, neben relativierenden Aussagen bezüglich der schnellen Verbreitung der Viren und der Schwere der Krankheitsverläufe, vor allem auf eine zukünftige „neue Gesellschaft“ hingewiesen. Darauf reagierten teilnehmende Personen prompt mit: „Wir sind das Volk!“. Der Ruf nach dem Wiedererlangen der Souveränität Deutschlands war da nicht weit: Eine Teilnehmerin trug diese Forderung bereits auf einem Stofffetzen mit sich.
Auch in Heiligenstadt prangt seit Monaten das Wort „Souveränität“ nebst „Freiheit“ und „Gerechtigkeit“ auf dem Banner der dortigen Kundgebungen. Allerdings lassen sich die TeilnehmerInnen dieser Versammlungen – mit ihren Fahnen des deutschen Kaiserreichs und der Forderung „Friedensvertrag – jetzt!“ – eindeutig der Reichsbürgerszene zuordnen. Dass die Kritik an den Corona- Maßnahmen für sie nur eine Nebensache ist, fiel zum Beispiel bei ihrem Auftritt in Teistungen im Landkreis Eichsfeld am 15. November 2020 auf: Die Redebeiträge drehten sich mehr um die „Reaktivierung des deutschen Reiches“ als um die Maskenpflicht in der Öffentlichkeit. Auch Anja Voigt, AfD- Stadträtin in Leinefelde, war anwesend. Dass die AfD das Wiedererlangen der Souveränität Deutschlands in Zeiten der Pandemie immer vehementer fordert und dabei antisemitische Verschwörungserzählungen bedient, wird nicht durch die schwierige epidemiologische Lage bedingt, sondern ist längst Teil eines extrem rechten Diskurses. Wer – wie zuletzt Beatrix von Storch in ihrer Bundestagsrede vom 28. Januar 2021 – eine „Zeitenwende“ heraufbeschwört und sich zugleich als einzige politische Gegnerin gegen den „globale[n] Überwachungsstaat“ inszeniert, möchte weder Frieden noch Freiheit, sondern hofft auf den Umsturz und strebt in bester faschistischer Manier eine gewalttätige Wiedergeburt der Nation an.