Sentieri partigiani – Unterwegs auf den Wegen von Partisan*innen im Widerstand gegen den Faschismus

Reisebericht

Im Gespräch mit Volpi. | Foto: ABAG

Francesco Bertacchini, Kampfname „Volpe“ mag gar nicht aufhören zu erzählen. „Vielleicht können wir uns morgen ja nochmal treffen“, sagt er, bevor er bestimmt, aber höflich zum Auto gebracht wird. Dieses bringt ihn pünktlich zum Abendessen wieder in das Altersheim, in dem er seiner Frau zuliebe wohnt.

Unsere Göttinger Reisegruppe war sehr enttäuscht, als im Sommer 2020 die lang geplante Partisan*innenwanderung in den italienischen Bergen aufgrund der Corona Pandemie abgesagt werden musste. Wie es für Volpi und die anderen Zeitzeug*innen gewesen sein muss, können wir aber nur erahnen. Umso glücklicher waren wir, als im September 2021 schließlich doch eine Sentieri, also eine Bildungsreise zum italienischen Widerstand zwischen 1943 und 1945, stattfinden konnte. Die Sentieris finden seit circa 20 Jahren in der norditalienischen Provinz Reggio Emilia statt und werden vom Verein Istoreco organisiert. Istoreco ist die Abkürzung für den umständlichen Namen „L’Istituto per la Storia della Resistenza e della Società contemporanea in provincia di Reggio Emilia“, einem von vielen Instituten, die in den 1950er und 60er Jahren von Verbänden ehemaliger italienischer Partisan*innen gegründet wurden, um „das dokumentarische Erbe und die Erinnerung an den nationalen Befreiungskampf wach zu halten“. Das Istoreco ist seitdem stetig gewachsen und umfasst heute mehr als zwei Kilometer laufende Akten zur neueren Geschichte der Provinz. Damit hat es ein Alleinstellungsmerkmal, denn kaum ein anderes Institut in Norditalien ist so aktiv und hat die Geschichte der regionalen Partisan*innenkämpfe so detailliert erforscht.

Crashkurs in Geschichte

Bevor wir loswanderten, gab es zunächst einen Vortrag vom Historiker des Istoreco. In einem Crash-Kurs in italienischer Geschichte lernten wir unter anderem, dass Mussolini dem Vatikan 1929 im Zuge des Concordats so viel Geld zahlte, dass letzterer eine eigene Bank gründen musste. Durch die Versöhnung mit der Heiligen römischen Kirche und den folgenden Kolonialkriegen in Äthiopien und Eritrea erreichte der italienische Faschismus 1936 den Zenit seiner Popularität. Erst nach Kriegseintritt 1940 stieg die Unzufriedenheit der italienischen Bevölkerung mit Mussolinis Politik rasant an. Da Italien personell sowie technisch für einen Krieg recht schlecht aufgestellt war, schwand die anfängliche Kriegsbegeisterung rapide, sodass sich der König Anfang Juli 1943 gezwungen sah, Mussolini abzusetzen, um seinen eigenen Kopf zu retten – eine Strategie, die funktioniert hat: Für diesen Akt wird er bis heute gefeiert, obwohl er den Faschismus vorher über 21 Jahre lang unterstützt und möglich gemacht hat. Die Alliierten waren zu diesem Zeitpunkt bereits in Sizilien gelandet, denn formal waren Italien und Deutschland noch Verbündete. Während Mussolini also im Gefängnis saß, führte der König geheime Friedensverhandlungen mit den Alliierten. Als am 8. September schließlich der Friedensvertrag geschlossen wurde, standen die Alliierten kurz vor Neapel (der sog. Gotenlinie). Nach einer Radioansage, in der der Frieden verkündet wurde, brach in ganz Italien Chaos aus: Italienische Militärs verließen ihre Posten und flohen. Darauf hatten die Deutschen gewartet. Entsprechend dem Plan „Achse“ wurden die übrig gebliebenen italienischen Militärs gefangen genommen und alle zentralen Ämter nördlich der Gotenlinie von Deutschen besetzt. Mussolini wurde von Fallschirmjägern und SS-Angehörigen befreit und als eine Art Marionettenregierung für die neu ausgerufene „Italienische Sozialrepublik“ im nördlichen Italien eingesetzt. Italien war also gespalten: Während der südliche Teil befreit war, wurde der nördliche Teil, oberhalb der Gotenlinie, von der Wehrmacht besetzt und erneut eine faschistische Republik ausgerufen. Die dortigen italienischen Militärs wurden nun vor die Wahl gestellt: Kämpfen für Deutschland oder Deportation. Damit war der Widerstand geboren.

„Das Gefühl, den Berichten von Franscesco „Volpe” Bertacchini und Liliana Del Monte zuzuhören, lässt sich nur schwer in Worte fassen.”

Die Anfänge der Resistenza

Die ersten Versuche einer Resistenza bestanden also aus Ex-Militärs, die sich weigerten, für den neuen faschistischen Staat zu kämpfen, und sich in die Alpen zurückzogen. Es folgten vor allem junge Männer, die sich der neuen Zwangsrekrutierung entziehen wollten. Die Anfänge waren jedoch schwer, denn es gab weder Erfahrung im Partisanenkampf noch Unterstützung von der Zivilbevölkerung, die für das Überleben in den Bergen mehr als wichtig war. Für die Region Reggio Emilia sind deshalb zwei zentrale Ereignisse von Bedeutung: die Ermordung der sieben Cervi-Brüder sowie der Mord an Priester Quarto Camurri am 28. Dezember 1943. Italienischen Faschisten war bekannt geworden, dass die acht Männer sich antifaschistisch betätigt hatten, woraufhin sie am 25. November verhaftet und schließlich hingerichtet wurden. Dies sorgte in der christlich geprägten Bevölkerung für einen Aufschrei: Wie konnte man einer Mutter ihre sieben Söhne nehmen und einen Geistlichen ermorden? Ab sofort war den Partisanen die Unterstützung der Zivilbevölkerung sicher, so das Fazit des Historikers.

Sabotageaktionen und Vergeltungsschläge

Das Ziel der Aktionen, die die Partisanen durchführten, war vor allem die Sabotage und Kontrolle der Staatsstraße SS63, die die einzige Nord-Süd-Verbindung durch die Appenin-Region darstellte und daher für die Versorgung der Besatzungstruppen mit Munition und Lebensmitteln von zentraler Bedeutung war. Nach den anfänglichen Startschwierigkeiten waren sie dabei zunehmend erfolgreich, was auch der Unterstützung durch britische Soldaten zu verdanken war. Dies führte vonseiten der Deutschen immer wieder zu Rache-Aktionen, wie der am 23. Juni 1944 im Bergdorf La Bettola. Nachdem eine Gruppe von Saboteuren erfolglos versucht hatte, eine Brücke im Ort zu sprengen, kamen in der folgenden Nacht Wehrmachtsangehörige und töteten jeden, den sie im Dorf vorfanden – insgesamt 32 Menschen –, der Jüngste: ein 18 Monate altes Baby. Es war sicher einer der emotionalsten Momente, als wir an einem sonnigen Nachmittag Liliana Del Monte trafen, die das Massaker als 11-Jährige überlebte. Sie berichtete, wie sie sich vor den Wehrmachtssoldaten versteckte, die nachts in das Haus eindrangen, in dem sie mit ihrer Mutter und ihren Großeltern lebte. Alle drei wurden vor ihren Augen ermordet, das Haus schließlich angezündet. Lili überlebte, obwohl sie von einer Kugel am Hals getroffen wurde und sich durch einen Sprung aus fünf Metern Höhe vor den Flammen rettete. Den Partisan*innen gebe sie keine Schuld an dem, was ihr passiert ist, vielmehr sei sie stolz, dass es Widerstand gegeben hat. Die Deutschen hätten so oder so gemordet.

Das weibliche Gesicht der Resistenza

Immer wieder kommen wir auf die Frauen in der Resistenza zu sprechen, ohne die das Partisan*innenleben kaum hätte aufrechterhalten werden können. Neben den Frauen, die in die Berge gingen und sich am bewaffneten Widerstand beteiligten, waren es vor allem die Frauen in den Dörfern, die die Partisanen unterstützten, indem sie kochten, Kleidung wuschen und flickten, Menschen versteckten und als Stafetten Nachrichten überbrachten. So war die erste Wanderung, die wir unternahmen, ein Weg zwischen den Orten Cervarezza und Busana, eine Strecke, die die Partisan*innen so oder so ähnlich häufig unternahmen.

Das ehemalige Partisan*innengebiet war früher unbewaldet und bot kaum Sichtschutz. | Foto: ABAG

Im Laufe der nächsten Tage wurde so auch ein wenig die Anstrengung deutlich, die das Leben in den Bergen mit sich brachte. Ob bei brütender Hitze oder nasskaltem Wetter mit Regen und dichtem Nebel (der unseren Aufstieg auf den Monte Vintasso leider verhinderte), bekamen wir eine Ahnung davon, wie es dort früher vielleicht gewesen war. Wie sich die Landschaft seitdem verändert hatte, wie der Alltag in den Bergen aussah und dass die Partisan*innen nicht auf so professionelles Schuhwerk zurückgreifen konnten wie wir, wurde dabei immer wieder kritisch angemerkt.

Ebenso wurde die Anerkennung – beziehungsweise die fehlende Anerkennung – des weiblichen Teils der Resistenza thematisiert. So erhielten Frauen oft keine offizielle Ehrung, da die staatlichen Regularien, wer als Partisan*in anerkannt wurde, sehr auf den aktiven, männlichen Kämpfenden zugeschnitten waren. Da Frauen oft nicht an bewaffneten Kämpfen teilgenommen hatten, fiel ihre Rolle unter den Tisch. Und auch auf Fotografien aus den Tagen der Befreiung fehlen weibliche Gesichter. In der nach wie vor machistischen italienischen Gesellschaft waren kämpfende und anderweitig aktive Frauen immer noch ein Skandal. Viele waren nach der Befreiung mit übler Nachrede konfrontiert.

Selbstbefreiung und Selbstbestimmung

Auf ihrem Höhepunkt waren circa 200.000 Menschen Teil der Resistenza. Und dies sind nur die offiziellen Zahlen, wahrscheinlich waren es weitaus mehr. Am 24. April 1945 gelang ihnen schließlich die Selbstbefreiung einiger norditalienischer Städte wie Reggio Emilia. Dort erinnert heute viel an die ruhmreiche Geschichte; man ist stolz auf seine antifaschistische Vergangenheit und gedenkt der Opfer. Davon zeugen Straßen und Plätze wie die „Via Martiri della Bettola“, „Via della Resistenza“, „Via Fratelli Cervi“ und diverse Denkmäler wie das Partisanendenkmal am Piazza della Vittoria und besonders das Denkmal mit den Namen und Gesichtern aller Partisan*innen aus Reggio Emilia.

Bis heute gilt Reggio Emilia als besonders antifaschistisch und bedacht auf ein soziales Miteinander. Überdurchschnittlich viele Menschen sind hier ehrenamtlich aktiv und die städtische Regierung versucht, die restriktiven Verordnungen der Landespolitik zu umgehen und soziale Projekte zu fördern. Dass das möglich ist, liegt auch an der antifaschistischen Hegemonie, die sich in Reggio nach der Selbstbefreiung durchsetzen konnte. Diese wurde dadurch befördert, dass nach dem 24. April immer wieder „ehemalige“ Faschisten verschwanden und später tot oder nie wieder aufgefunden wurden. Auf diese Weise verschwanden in der Region circa 300 Menschen. Andere, die sich vor e nem ähnlichen Schicksal fürchteten, zogen weg.

Bella Ciao, wir wandern weiter

Fünf Tage auf Partisan*innenwegen zu wandern war nicht annähernd genug, um zu verstehen, was sich dort vor, während und nach den 20 Monaten der Resistenza abgespielt hat. Und auch das Gefühl, den Berichten von Francesco „Volpe“ Bertacchini und Liliana Del Monte zuzuhören, lässt sich nur schwer in Worte fassen.

Steffen, einer der Organisatoren der Sentieris, sagte zu Beginn unserer Wanderung, dass sie nicht wüssten, wie es in Zukunft weitergehen könnte, denn langsam sterben die letzten Zeitzeugen des Widerstands. Solange es aber Interessierte gebe, die nach Italien kommen wollen, so lang würden sie die Sentieris noch anbieten. Und ziemlich sicher wird es weitergehen, denn auf den Spuren der Partisan*innen zu wandern, ist ein sehr einmaliges Erlebnis.