von Simeon Dettmar
Querdenken-Proteste, „Montagsspaziergänge“ und Parteien wie Die Basis rücken neben verschiedenen Ideologiefragmenten ein altbekanntes Thema in den Fokus aufmerksamer Beobachter*innen der extremen Rechten: Esoterik. Dass es sich hierbei weder um ein neues noch um ein ausschließlich der extremen Rechten zuzuordnendes Phänomen mit mannigfaltigen Glaubenssätzen handelt, zeigen die Autorinnen Pia Lamberty und Katharina Nocun in ihrer im September 2022 erschienenen Monographie „Gefährlicher Glaube: Die radikale Gedankenwelt der Esoterik“ eindrucksvoll auf.
ESOTERIK
In neun Kapiteln widmen sich die Autorinnen dem facettenreichen Themenkomplex, welchen sie auch historisch einbetten. Behandelt werden Themen wie Gesundheit und sog. Alternativmedizin sowie die von Rudolf Steiner begründete Anthroposophie. Beleuchtet wird auch der Markt selbsternannter Hellseher*innen und »Life-Coaches«. Thematisierung finden zudem das Leben in Sektengemeinschaften, Esoterik im digitalen Raum sowie die ideologische und personelle Verzahnung von Esoterik und der extremen Rechten. Der schwer zu fassende Sammelbegriff Esoterik wird mithilfe von Expert*innen versucht zu konkretisieren. So wird unter anderem auf die Autorin Jutta Ditfurth verwiesen, die unter Esoterik eine okkulte und elitäre Geheimwissenschaft versteht, die nur Eingeweihte begreifen können und sich somit der rationalen Auseinandersetzung entziehe. Fünf Kernelemente esoterischen Denkens arbeiten die Autorinnen heraus: „Selbstoptimierung“, das „Selbst als höchste Instanz“, ein „holistisches Weltbild“, „magisches Denken“ und den „Glauben an eine gerechte Welt“. Besonders Letzteres, auf den ersten Blick progressiv anmutend, verdeutlicht die Ambivalenz, in der Esoteriker*innen beispielsweise versuchen, mit der Frage von Schuld gegen Krankheiten, Armut und Kriege vorzugehen und dabei verzerrende Freund/Feind-Bilder und Halbwahrheiten propagieren. Der Komplexität gesamtgesellschaftlicher Zusammenhänge – unter rationalen Gesichtspunkten – kann so nicht Rechnung getragen werden.
BRAUNER SUMPF
Als zentrale Figur der frühen Esoterik benennen Lamberty und Nocun die Theosophin Helena Blavatsky. Die „Geheimlehre“ der Okkultistin aus dem 19. Jahrhundert speist sich aus Sicht der Autorinnen aus einem „Konglomerat unterschiedlicher religiöser und mysteriöser Elemente“, die im Wesentlichen nichts anderes als eine „eigenständige Erzählung der Menschheitsgeschichte“ darstellten. Die ihr innewohnende „Wurzelrassentheorie“, nach der die „germanisch-angelsächsische Wurzelrasse“ die höchste zu erreichende Stufe darstellt, findet auch eine zentrale Stellung in der von Rudolf Steiner begründeten Anthroposophie. Dieser knüpfte ideologisch Blavatsky an und entwarf eine eigene – ausschließlich auf seinen „hellseherischen Fähigkeiten“ beruhende – Denkschule, die bis heute breite gesellschaftliche Anwendung findet. So auch in der sog. anthroposophischen Medizin, Kosmetik und Landwirtschaft, ebenso in den von Steiner begründeten Waldorf-Einrichtungen im Bildungs- und Erziehungswesen.
Ausführlicher hätte der Anteil eigener Recherchearbeit in der Monographie ausfallen können. So fällt auf, dass die Expertisen verschiedener renommierter Autor*innen herangezogen, eingeordnet und kommentiert werden, die eigene Recherche im Feld sich aber im Wesentlichen auf Besuche von Esoterikmessen beschränkt.
KLARE ABGRENZUNG NÖTIG
Nicht selten sind es vermeintlich progressive – sich selbst als „linksalternativ“ und „aufgeklärt“ verstehende – Milieus, die Esoterik auf unterschiedlichen Wegen praktizieren, (unbewusst) konsumieren und zumindest teilweise in ihren Alltag einfließen lassen. Dass solche Glaubenssätze auch Anknüpfungspunkte für menschenfeindliche Ideologien bieten und als mögliche Zugänge in die extreme Rechte fungieren können, sollte im Zuge der Querdenken-Proteste der letzten Jahre deutlich geworden sein. Hier gilt es, sich klar abzugrenzen und inhaltliche Auseinandersetzungen zu schärfen. Die Monographie „Gefährlicher Glaube: Die radikale Gedankenwelt der Esoterik“ liefert eine spannende Überblickleistung besagten Themenkomplexes. Sie lädt zur weiterführenden Diskussion und zur vertiefenden Beschäftigung mit einzelnen Strängen der Esoterik ein.