Vom Keilgast zum Bursch

Zusammen mit einer Redaktur_In der “Lotta”

Die Fuxenzeit als politische Sozialisation in Studentenverbindungen

Allen Studentenverbindungen gemein ist das Lebensbundprinzip. Die Mitgliedschaft in einer Verbindung gilt also ein Leben lang, auch über das Studium hinaus. Um vollwertiges Mitglied – also Bursche oder Alter Herr – zu werden, müssen jedoch die vorläufigen Mitglieder – Füxe und Hausgäste – an bestimmten Ritualen aktiv teilnehmen und korporationsinterne Prüfungen erfolgreich absolvieren. Wie gestaltet sich der Mitgliedschaftsverlauf in Studentenverbindungen? Welche Ziele werden von der strengen korporierten Erziehung angestrebt?

Studentenverbindungen brauchen ständig neue Mitglieder, um ihre Struktur aufrecht erhalten zu können. Um an neue Mitglieder zu kommen, gibt es vor allem zwei Strategien. Ein Teil ihrer Mitglieder kommt aus dem Lebensbund selbst – durch die Söhne und Neffen ihrer Mitglieder. Das zweite Standbein der Rekrutierung ist die „Keilarbeit“, für die sogar ein spezielles Amt gibt: den „Keilwart“. Er organisiert mit Hilfe seiner Bundesbrüder Parties und Veranstaltungen, um mit den „Keilgästen“ im Gespräch zu kommen, koordiniert die Öffentlichkeitsarbeit und schaltet Werbeanzeigen für die Verbindung. Wie viele Korporationen, die über ein eigenes Haus verfügen, bietet auch der Bonner Ableger des Verbandes der Vereine Deutscher Studenten (VVDSt) einen gängigen Anreiz für das Leben in der Verbindung, nämlich “das preiswerte Wohnen auf dem Bonner Talweg und sonstige Vergünstigungen, die anderen Studenten versagt sind” für eine Dauer von sechs Monaten ohne Pflicht den Bund beizutreten. Diese Anwärter werden als “Spefüxe” bezeichnet, denn sie hoffen (sperare im Lateinischen), in der Gemeinschaft integriert zu werden. Dafür müssen sie aber nebst einer regen Beteiligung an den für sie offene Veranstaltungen und einen grundsätzlichen Interesse am Korporationswesen je nach Bund bestimmte Voraussetzungen erfüllen. In der Satzung des VDSt zu Bonn heißt es: “Die Mitgliedschaft im VDSt zu Bonn kann jeder männliche deutsche Student erwerben, der an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn oder sonst einer bei Bonn ansässigen Hochschule (Hochschule Bonn-Rhein-Sieg) ordentlich eingeschrieben ist und sich zur Ausrichtung des VDSt zu Bonn bekennt.”

Die Einschränkung auf deutsche Studenten ist bei vielen Studentenverbindungen zu finden, allerdings wird die Frage, ob jemand Deutscher ist, selten an seinem Passstatus festgemacht.

Beim Bonner VDSt gilt als Deutscher “der dem deutschen Kulturkreis dank Muttersprache und Erziehung oder kraft gesellschaftlicher Prägung angehört”. Die Deutsche Burschenschaft legt klare völkische Kriterien zugrunde. Sie definiert Deutsche über ihre „Abstammung, historische Schicksalsgemeinschaft, Sprache und Kultur in ihrem Siedlungsraum in Europa […] Diese Vorstellung vom Vaterland bezeichnet die Deutsche Burschenschaft (DB) als den »volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriff«. Der dazu konträre Begriff Staatsnation umschließt alle Staatsangehörigen gleich welcher Volkszugehörigkeit […]“. Sie grenzt sich damit klar von der deutschen Rechtssprechung ab, die sich seit dem Jahr 2000 zusätzlich zum Abstammungsprinzip am Geburtsortprinzip orientiert, und schließt in rassistischer Manier Deutsche aus, die nicht ihren Kriterien von Volk entsprechen. Wie rassistisch diese Definition von Volk deuten lässt, zeigte sich an der Debatte um den „Ariernachweis“ im Jahr 2011.

Manche Verbindungen legen weniger Wert auf die Nationalität ihrer Mitglieder, sondern legen z.B. die Zugehörigkeit zum christlichen Glauben für eine Mitgliedschaft zugrunde. Werden die Voraussetzung erfüllt, muss der Spefux einen Aufnahmeantrag schreiben. Darin begründet er seine Absicht den Lebensbund beizutreten und sein Bekenntnis zur Ausrichtung der Korporation. Die Burschen stimmen über diesen Antrag ab und entscheiden somit, ob der Spefux seine Fuxenzeit in der Korporation beginnen darf.

Methoden korporierter Erziehung

Der Erziehung der Füxe nimmt in allen Arten von Studentenverbindungen eine zentrale Rolle ein. der Lebensbund soll eine Gemeinschaft mit hoher sozialer Ähnlichkeit sein und bleiben, daher ist es besonders wichtig, die neuen Mitgliedern möglichst umfassend in die Gemeinschaft zu integrieren.

Das bedeutet nicht nur die Vermittlung von Wissen, sondern auch die Ausbildung eines eigenen Habitus, also einer inneren Haltung, die sich auch im Auftreten und Verhalten widerspiegelt. Es ist nicht so, dass die Füxe nur mit Zwang zugerichtet werden, es soll vielmehr in ihnen der Wunsch geweckt werden, sich der Gemeinschaft unterwerfen zu wollen. Hierfür stehen den Verbindungen verschiedene Methoden zur Verfügung.

Praxen des Zusammenlebens – Die Convente

Im hierarchisch organisierten Korporationswesen müssen die Füxe die Erwartungen der vollwertigen Mitglieder erfüllen. Unter anderem werden Verhaltensregeln und soziale Codes durch die obligatorische Teilnahme an interne und Bundesveranstaltungen geübt und dadurch verinnerlicht. Die wichtigen Versammlungen für die Aktivitas sind die Convente. Füxe sind auf dem Allgemeinen Convent mit Sitz und Stimme berechtigt, der Burschenconvent hingegen ist für sie verschlossen. Sie können sich daher in den meisten Korporationen einen Burschen aussuchen, der ihre Interessen dort vertreten kann. Dieses sogenannte “Leibverhältnis” ist eine Art Mentoring und stellt eine enge Beziehung zwischen dem Leibbursch und dem Leibfux dar, was zum einen eine gewisse Fügsamkeit seitens der Füxe fördert, andererseits auch die Burschen an die Füxe bindet, da der Leibbursche für das Verhalten seines Leibfuxes verantwortlich gemacht werden kann.

Beide Convente sind durch strukturierte Versammlungen, die von einem Vorsitzenden geleitet werden. Auf dem Allgemeinen Convent wird über die Chargen, also die verschiedenen Verantwortlichkeiten innerhalb des Hauses sowie vergangene und kommende Veranstaltungen berichtet. Vorschläge werden überwiegend durch Anträge eingebracht, über die abgestimmt wird. Dort werden außerdem Sanktionen gegen Aktivitas verhängt, in manche Korporationen “Beireitungen” oder „Poene“ genannt, weil sie beispielsweise ihre Bierschulden nicht beglichen, beim Convent Fäkalwörter und Anglizismen benutzten oder verschlafen haben. Die Teilnahme am Allgemeinen Convent trägt dazu bei, die Füxe in die Praxen der Organisation des Zusammenlebens einzuführen und ist ein fester Bestandteil der “Fuxenerziehung”, die laut dem Bonner VDSt “einheitlich erfolgen” muss.

Für die Erziehung der Füxe ist der „Fuxmajor“ zuständig. Er muss auf dem Burschenconvent über den Stand des „Fuxenstalls“ berichten und Rechenschaft ablegen. Hier wird auch die Erziehung der in ihrer Abwesenheit besprochen. Die sogenannte “Fuxenkritik” kann von allen anwesenden Burschen ergänzt werden. Es wird versucht, Verhaltensweise der Füxe, die von den Burschen als negativ wahrgenommen werden, zu unterbinden. Beim Bonner VDSt werden zum Beispiel das Kiffen oder ein mangelndes politisches Interesse bei den Füxen als Problem ausgemacht. Es werden Gespräche geführt, um die Füxe zu “formen”. Es kann auch zu Sanktionen kommen, wie im Falle eines Fuxes beim VDSt zu Bonn, der betrunken “randaliert” hatte, und dafür “unter besonderer Beobachtung” stand und während der vorlesungsfreien Zeit nach dem Vorfall vorübergehend vom Bund ausgeschlossen wurde. 

Fuxenstunden

Die “Fuxenstunden” dienen dazu, die theoretische “couleurstudentische Ausbildung” voranzutreiben. In diesem Unterricht werden Verhaltensregel und Abläufe für interne Veranstaltungen vorgestellt und die korporierte Sicht auf Gesellschaft und Geschichte vermittelt. Je nach Ausrichtung der Korporationen stehen weiter der christliche Glaube, Staatsbürgerkunde und Manierunterricht auf der Tagesordnung. Bei der Betrachtung deutscher Geschichte wird die NS-Zeit sehr oft ausgeblendet und die Rolle des Verbindungswesens beim Aufstieg des Faschismus heruntergespielt. Im “Fuxenbrevier” des Bonner VDSt wird die Rolle der Korporation im Ersten Weltkrieg und ihr Engagement gegen die Besatzungsmacht Frankreich ab 1918 ausführlich beschrieben, wohingegen wenig über die Zeit zwischen den Jahren 1933 und 1945 zu finden ist. Obwohl der VVDSt in seiner Leobener Erklärung 1987 “die kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte” fördert, wird nach wie vor die “Verbundenheit zu Angehörigen des deutschen Volkes außerhalb des bundesdeutschen Staatsgebietes” als politische Ausrichtung des Bonner Ablegers in seiner neuen Satzung von 2015 festgehalten. Andere Verbindungen werden noch deutlicher. In der Fuxekladde der Marburger DB-Burschenschaft Rheinfranken sucht man die Begriffe „Holocaust“ oder „Shoah“ vergebens, Vernichtungslager werden ausschließlich im Kontext der Entnazifizierung erwähnt, Juden seien aus Deutschland lediglich ausgewandert. Unter den Themenvorschlägen für die Referate findet sich auch eine Besprechung des Kapitels „Die Juden – eine kritische Betrachtung“, bei der die Aussage des ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland Ignatz Bubis “Ich bin ein Deutscher jüdischen Glaubens” bewertet werden soll.

Saufen und Schlagen

Neben der theoretischen Bildung ist das gemeinsame Erleben wichtiger Bestandteil der Erziehung. Das passiert vor allem über zwei Gelegenheiten: Die Kneipe und das Fechten der Mensur.

Wie vieles im Verbindungsleben ist auch das rituelle Trinken stark verregelt. Aufgaben wie Leitung oder Bierversorgung ebenso festgelegt wie die Kleiderordnung, die je nach Gelegenheit in der “Rahmenkneipordnung” bestimmt wird. Eine Kneipe wird in der Regel von Burschen geschlagen, das heißt, dass sie diese anleiten. Eine Ausnahme bildet die Fuxenkneipe, die als Übung für die Fuxen angedacht ist. Bei den anderen Kneipen bekommen Füxe Aufgaben. So werden im Bonner VDSt “Schleppfüxe” bestimmt, die die Burschen bedienen müssen, und einen “Brüllfux”, der für Ruhe sorgen muss, damit die Ansagen der Chargierten – vergleichbar mit dem Vorstand eines Vereins – für alle hörbar werden.Während der Kneipe müssen die Füxe durch das ritualisierte Trinken und Reden lernen, diszipliniert nach Regeln zu handeln und sich unter Kontrolle beziehungsweise unter der Kontrolle der Burschen zu halten. Nicht selten werden Füxe animiert viel zu trinken, um ihre Grenzen systematisch zu überreizen. Das gemeinsame Erlebnis im Vollrausch sollte zudem die Beziehung zwischen Korporationsmitglieder stärken.

Die Mensur, das studentische Fechten, gilt in den schlagenden Verbindungen als wichtigstes Erziehungsmittel im Männerbund. Ziel der Mensur ist nicht der Sieg über den Gegner, sondern das mannhafte Standhalten einzuüben. Wie auch die anderen Bereiche des verbindungsstudentischen Lebens ist auch die Mensur verregelt, ihr Ablauf ist in den jeweiligen Fechtcomments festgelegt. Beim Schlagen der Mensur stehen sich die beiden Kontrahenten gegenüber und schlagen mit scharfen Waffen von oben herab in einer bestimmten Taktung auf den Kopf des Gegenübers ein. Dabei entstehen oft blutende Schnitte im Gesicht. Die „Schmisse“ werden nicht als Niederlage gewertet, sondern als besonderes Zeichen des Mutes, da der Bursche eher die Verletzung in Kauf nimmt, als den Kopf wegzuziehen. In fakultativ schlagenden Verbindungen müssen die Füxe das Fechten zumindest erlernen, in schlagenden Verbindungen muss mindestens eine Mensur geschlagen werden. Mensuren sind wichtige Veranstaltungen „auf“ dem Haus der Verbindung, es dürfen nur Mitglieder anderer schlagender Verbindungen anwesend sein, Frauen sind ausgeschlossen.

Mannwerdung und Mysogynie

Viele Studentenverbindungen sind Männerbünde. Das Zusammenleben unter Männer ist ebenfalls Teil der “Formung” der Füxe, die ein konservatives Frauenbild entwickeln sollen. Der Männerbund gilt als Gegenstück zur Familie in der Lebenswelt der Korporierten, so sind Frauen bei bestimmten Veranstaltungen als Begleiterin willkommen. Oftmals findet eine Unterscheidung in ehrenhafte Damen – die Freundinnen von Mitgliedern – und „Couleurmatrazen“ statt, der klassischen Trennung von der Frau als Heiliger oder Hure folgend. Frauen gelten nicht selten als “Freiwild”, wie interne Dokumente der Aktivitas des Bonner VDSt im Jahr 2015 belegen. Diese sexistische Betrachtung der Frauen wird dadurch verstärkt, dass im Alltag der Korporation abwertend über Frauen und ihre Körper geredet wird. Dementsprechend akzeptieren die Füxe einen vorgeschriebenen Umgang mit Frauen, die sich wie folgt von einem Burschen des VDSt zu Bonn zusammenfassen lässt: “Man treffe genug Weiber im Studium. Tittenbuxen anzulachen müsse daher nicht sein.” Dennoch werden von den Bonner Aktivitas Pläne geschmiedet, um mit den Frauen der Akademischen Verbindung Leaena, die “Bitches” genannt werden, zu schlafen, als diese eine Kneipe im Haus des VDSt schlagen wollen.

Eintritt in den Lebensbund – Die Burschung

Den Abschluss der Fuxenzeit stellt die „Burschung“ dar. Um „geburscht“ zu werden, muss der Fux beweisen, dass er sich in die Regeln und Verhaltensweisen der Verbindung eingefügt hat. Hierfür erfolgt eine Bewertung durch die Aktivitas, eine Burschenprüfung sowie bei schlagenden Verbindung das Fechten einer „Bestimmungsmensur“. Die Burschenprüfung kann je nach Verbindung aus Prüfungen zu Inhalten der Fuxenausbildung bestehen oder auch aus einer praktischen Fuxenarbeit, wie zum Beispiel dem Anfertigen eines Möbelstücks. Bei der Marburger Burschenschaft Rheinfranken müssen die Füxe einen Vortrag, die „Brandungsprüfung“ bei einem der „burschenschaftlichen Abende“ zu einem von ihnen gewählten Thema halten.

Die Eignung zum Burschen wird auf dem Burschenconvent festgestellt und mit einer 2/3 Mehrheit beschlossen. Der Fux bekommt abschließend bei einem öffentlichen Convent sein neues Band in den Farben der Aktivitas überreicht und gilt als vollwertiges Mitglied des Lebensbundes.

Lebenswelt Studentenverbindung

Ziel der Fuxenerziehung ist eine tiefgreifende Sozialisation in die Gemeinschaft. Die Studentenverbindung ist demnach nicht nur ein zeitweiser Aufenthaltsort, sie ist eine eigene Lebenswelt mit eigener Sprache, eigener Weltsicht, eigenen Werten und eigenen Regeln. Diese Elemente werden nicht bloß theoretisch erlernt, sondern müssendurch das Überwinden der körperlichen Grenzen zur leiblichen Erfahrung werden. Die politische Sozialisation – das Ausbilden einer bestimmten korporierten Weltsicht – der neuen Mitglieder ist den männerbündischen Verbindungen ein wichtiges Anliegen zum Selbsterhalt und so kommt ihr im Verbindungsalltag ein hoher Stellenwert zu. Wissenschaftlich wird die politische Sozialisation in zwei Ebenen unterschieden: Das Lernen von manifestem Wissen, hier in Gestalt der Fuxenstunden, sowie latente Sozialisationsprozesse, die im alltäglichen Miteinander geprägt werden. Das Trinken, das Bluten, das Reden über Frauen sind nicht nur Elemente einer Kultur, sondern prägenden auch das politische Bewusstsein der Einzelnen elementar mit. Die verbindungsstudentische Erziehung ist an der Ausbildung autoritärer Charaktere orientiert, seit jeher stützen Korporierte autoritäre und antiemanzipatorische Tendenzen in der Gesellschaft. Durch die Einordnung in die Hierarchie, die stetig verfestigte Härte gegen sich selbst, das Überwinden der eigenen Grenzen sowie das Prinzip, sich Mehrheitsentscheidungen des Convents zu beugen und den Corpsgeist höher zu stellen als das eigene Unwohlsein, haben Studentenverbindungen das Potenzial, die Art von Männern zu bilden und auszubilden, die eine autoritär-völkische Partei wie die AfD braucht.