Zur staatlichen Historisierung rechter Gewalt

Hochgestellte Stühle auf einem Tisch.  Foto: pixabay.de

Die derzeitige Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, ein »Archiv zum Rechtsterrorismus« aufzubauen. Diese Planungen nehmen nun Gestalt an: Unter Federführung des Bundesarchivs soll ein Themenportal »Rechte Gewalt« im Rahmen des Archivportal-D entstehen, vorausgesetzt die finanziellen Mittel hierfür werden im Bundeshaushalt vorgesehen. Sowohl öffentliche als auch freie Archive und zivilgesellschaftliche Projekte sind dann gefragt, sich an dem Themenportal zu beteiligen und relevante Dokumente aus ihren Beständen digital zur Verfügung zu stellen. Wir, die unterzeichnenden antifaschistischen Archive und Projekte, haben die Entwicklung, soweit uns das möglich war, nun ein Jahr lang verfolgt und werden an diesem Projekt nicht mitwirken.

Nicht zuletzt die Aufarbeitung des NSU-Komplexes hat gezeigt, dass Verfassungsschutzämter und Polizei ihre Akten und ihr Wissen oftmals der Öffentlichkeit vorenthalten. Die Novellierung des Bundesarchivgesetzes hat diese Praxis im Jahr 2017 legitimiert und den Geheimdiensten weitreichende Möglichkeiten eingeräumt, selbst darüber zu entscheiden, ob brisante Akten in die staatlichen Archive gegeben werden. Statt eine Lösung dafür zu erarbeiten, wie die Aufklärung über Rechtsterrorismus und rechte Gewalt von staatlicher Seite verbessert werden kann, liegt der Fokus nun auf der Bereitstellung und digitalen Zusammenführung bereits überlieferter Behördendokumente und den Dokumenten zivilgesellschaftlicher Initiativen. Die Möglichkeit, das Thema zum Ausgangspunkt für eine kritische Revision der Übernahmepraxis von Akten der Sicherheitsbehörden und ihrer rechtlichen Grundlagen zu nutzen, bleibt ungenutzt. Dabei liegen anderweitige Forderungen längst auf dem Tisch. So gibt es in Thüringen das Bekenntnis der Landesregierung, die Akten der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zum NSU-Komplex langfristig zu sichern und zugänglich zu machen. Auf Bundesebene sind erste Vorschläge für ein gesondertes Gesetzgebungsverfahren in Analogie zum Stasiunterlagengesetz aufgeworfen worden. Die Bundesregierung hätte genug zu tun, die Inlandsgeheimdienste zu einer datenschutzkonformen Offenlegung ihrer Akten zu zwingen.

Wir sehen die Gefahr, dass das Themenportal letztlich keine neuen Erkenntnisse über das Wissen und die Verwicklung staatlicher Akteure in rechtsterroristische Netzwerke bringen wird. Obgleich die digitale Übersicht vorhandener Behördendokumente etwa für die Forschung sicherlich hilfreich ist und das Projekt insgesamt dazu dienen kann, die Kontinuität rechter Gewalt in das bundesdeutsche Gedächtnis zu rufen, scheint es uns mit Blick auf die Aufklärung des rechten Terrors nicht gewinnbringend. Das ist uns zu wenig. Anstatt die Grundlagen für die problematische Überlieferungssituation insbesondere nachrichtendienstlicher Dokumente in den Fokus zu nehmen, werden stattdessen die Dokumente zivilgesellschaftlicher Akteure als »zentrale Voraussetzung für das Portal« gesehen. Das kann den Effekt haben, die bestehende Lücke an Behördenakten zu verschleiern und schlimmstenfalls der Diskussion um den Umgang mit ihnen ein Ende setzen. Antifaschist*innen und Zivilgesellschaft sollten nicht als Lückenfüller herhalten. Dabei sind die Dokumente der antifaschistischen Archive schon jetzt für interessierte Nutzer*innen einsehbar. Über viele Jahrzehnte haben Antifaschist*innen unsere Archive und Sammlungen als bewusst nichtstaatliche Einrichtungen aufgebaut. Wir werden uns nicht über diejenigen hinwegsetzen, die uns in diesem Wissen um eine Unabhängigkeit vom Staat mit Archivalien und ihren Recherchen versorgt haben. Wir protestieren dagegen, dass antifaschistische Recherchen, etwa in den jüngsten Verfassungsschutzberichten des Bundes, kriminalisiert werden. Diese Diskrepanz – Wertschätzung im Sinne des geplanten Themenportals auf der einen, und Kriminalisierung auf der anderen Seite – trägt nicht gerade dazu bei, unser Interesse an einem staatlich beauftragten Projekt zu rechter Gewalt zu wecken.

Wir protestieren dagegen, dass antifaschistische Recherchen, etwa in den jüngsten Verfassungsschutzberichten des Bundes, kriminalisiert werden.

Dass die Projektverantwortlichen erst nach einem Jahr an uns herangetreten sind, hat unsere Skepsis gegenüber dem Vorhaben noch verstärkt. Eine breitere Beteiligung antifaschistischer und zivilgesellschaftlicher Initiativen an der Konzeption des Projektes ist nicht vorgesehen. Die Deutungshoheit über rechte Gewalt verbleibt damit auf der Seite des Staates. Ob und wie Kritik an staatlichem Handeln, die personelle und finanzielle Beteiligung von Nachrichtendiensten am Aufbau rechter Organisationen, die Uninformiertheit von Nachrichtendiensten und damit unzulänglichen Analysen zu neonazistischen Netzwerken, die oft viel zu milde Rechtsprechung gegenüber rechten Gewalttätern oder das Wirken extrem rechter Akteure in den Behörden Teil der Erzählung sein wird, ist daher äußerst fraglich.

Verbund antifaschistischer Archive, Dezember 2023

Vortrag ‘Rechte Symboliken erkennen und benennen’

23.11. 2023 | 19 Uhr | VG 4.101 | Verfügungsgebäude der Universität Göttingen (Platz der Göttinger Sieben 7, Göttingen)

Ob Schwarze Sonne oder Thor Steinar, Nazi-Hipster oder Nazi-Skinhead, die extreme Rechte verfügt über eine Vielzahl von Symbolen, Marken und Codes, über welche sie ihre Gesinnung für Gleichgesinnte offenbart und sich so gleichzeitig von der restlichen Gesellschaft abgrenzt.
Der Vortrag wird die verschiedenen Bezugspunkte extrem rechter Symbolik vorstellen, einordnen und durch Praxisbeispiele aufzeigen, wie sie erkannt werden können.
Der Vortrag soll vor allem die vermehrt am Campus und im Göttinger Stadtbild aufgetretenen Sticker aus dem verschwörungsideologische Milieu und dem Shop “Druck 18” beleuchten.

Für den Vortrag ist kein Vorwissen notwendig.

Vortrag: ‘Rechte Strukturen in Südniedersachsen’

19.10.2023 | 20:30 Uhr | Theaterkeller (Geismarlandstr. 19, Göttingen)

Nazis? Die gibt es doch nicht in Göttingen, oder? Göttingen gilt seit Jahrzehnten als tolerante und alternativ geprägte Stadt.

Dabei wird oft übersehen, dass eine militante und bundesweit vernetzte extreme Rechte auch zur Regionalgeschichte Südniedersachsens gehört. Mit dem Vortrag wollen wir auf die Geschichte der rechte Szene in Südniedersachsen eingehen und die aktuellen Entwicklungen skizzieren. Wir wollen einen Überblick darüber geben, welche Strukturen es gibt und wie diese untereinander vernetzt sind.

Der Vortrag ist als Einstiegsvortrag konzipiert. Es wird kein Vorwissen benötigt.

 

„Verflucht sei der Krieg und der ihn gewollt hat!“ – Stimmen aus der italienischen Partisan*innenliteratur

Lesung | 08.09.2023 | 18.30 Uhr Nikolaikirchhof Göttingen

Am 8. September 1943 hörten abertausende Italiener*innen, versammelt im ganzen Land um Rundfunkgeräte, die Verkündung des Waffenstillstands zwischen Italien und den Alliierten.
Die Nachricht verbreitete sich schnell bis in die Berge, wo sich Partisan*innen der ersten Stunde versteckt hatten.
Die Partisan*innengruppen entstanden, als deutsche Soldaten und faschistische Milizen aufsässige Italiener*innen zur Zwangsarbeit verschleppten oder ermordeten, was die Wut der Bevölkerung schürte.
Dementsprechend erhielten die Partisan*innen oft Hilfe und Zuspruch.  Deshalb wird die Resistenza als kollektive Erfahrung beschrieben, was sich auch in den literarischen Werken von Autor*innen, die diese erlebt haben, zeigt: Ob auf der Alp nach einem langen Weg durch die Lärchenwälder oder in der Stadt bei einer Streikversammlung, ob als Staffetta auf dem Rad, die Nachrichten und Informationen transportierte, oder als Familie, die Brot und sicheres Versteck zur Verfügung stellte, leisteten viele Widerstand gegen den Faschismus.
Um diese einzigartige Bewegung besser zu verstehen, sind Erzählungen von Partisan*innen wertvolle Zeitzeugnisse.

Wir wollen diesen Autor*innen Stimmen geben und werden aus ihren Werken Textauszüge vortragen. Wir laden euch herzlich ein, bei gemütlicher Abendstimmung einigen spannenden Geschichten zu lauschen.

Veranstaltet vom Buchladen Rote Straße und  Antifaschistischen Bildungszentrum und Archiv Göttingen e.V.

Bei Regen werden wir Pavillons aufstellen, sodass die Lesung auch in diesem Fall stattfindet.

Vereinszeitschrift ‘Hingeschaut #4’ erschienen!

Am 05.08.2023 ist Ausgabe 4 unserer jährlich erscheinende Vereinszeitschrift erschienen.

Unterstützer*Innen unseres Vereins haben die ‘Hingeschaut #4′ schon zugeschickt bekommen.

Im Buchladen ‘Rote Straße’ (Nikolaikirchhof 7, Göttingen) kann diese nach Spende auch mitgenommen werden.

Kaffee, Kuchen, Hingeschaut 2023

Endlich erscheint die neue Ausgabe der Vereinszeitschrift ‚Hingeschaut #4‘ des
Antifaschistischen Bildungszentrum und Archiv Göttingen e.V.!
Das wollen wir mit euch feiern.
Am 05.08.23 gibt es im Roten Zentrum (Lange-Geismar-Straße 2) Kaffee und Kuchen.
Um 15:30 Uhr stellen wir die Themen der neuen ‚Hingeschaut‘ vor. Im Anschluss wird es ein kurzes Zeitzeug*innengespräch über die Produktion antifaschistischer Zeitschriften in den späten 1980er Jahren geben. Es wird spannend und ein bisschen anekdotisch.

Chronik 2022 Auswertung veröffentlicht

Im Jahr 2022 erfasste das Antifaschistische Bildungszentrum und Archiv Göttingen e.V. (ABAG) 482 Einträge in seiner Chronik zu rechten Aktivitäten in Südniedersachsen und dem thüringischen Eichsfeld. Damit wurden im Vergleich zum Vorjahr über 160 Ereignisse mehr erfasst. Der Großteil der Einträge ist auf die verschwörungsideologischen Proteste der Corona-Leugner*innen in der Region zurückzuführen. „Die auf den Aufmärschen verbreiteten Inhalte sind anschlussfähig an die Themen der extremen Rechten. Sie sind insbesondere antisemitisch und relativieren die Verbrechen des Nationalsozialismus, daran hat sich auch im dritten Jahr der Pandemie nichts geändert“, bilanzieren die Autor*innen. Auch in 2022 mussten wieder mehrere rassistische, antisemitische und anti-linke Angriffe dokumentiert werden. Es wurden unter anderem Drohbriefe an Synagogen, Moscheen und Parteibüros verschickt.

Die gesamte Auswertung hier

Das Antifaschistische Bildungszentrum und Archiv Göttingen dokumentiert im Rahmen seiner Chronik unter anderem rechte, rassistische und antisemitische Vorfälle in Form von Aufmärschen, Bedrohungen und Propagandaaktionen. Solche Vorfälle können per unter chronik@antifaschistisches-archiv.org oder über unser Kontaktformular gemeldet werden.